Auch ein Schauspieler will mal Fehler machen dürfen

Bäckstage: Setbesuch bei neuem Schweizer Film

Text: Linda von Euw und Patrick Holenstein

 

Es ist ein milder Frühlingsnachmittag. Am Bahnhof Enge herrscht emsiges Treiben. Kinder albern rum während sie auf den Bus warten und die ersten Banker machen sich auf den Heimweg oder steuern ein Feierabendbier an. Die frühe Abendsonne taucht unser Ziel, das Gymnasium Freudenberg, in ein warmes urbanes Glänzen. Ein ganz normaler Tag in der Stadt Zürich. Niemand würde vermuten, dass wenige Meter neben dem Bahnhof Enge gerade die Dreharbeiten zur Verfilmung des Bestsellers vom Schweizer Buchautor Markus Werner in vollem Gang sind.

 

Ob Markus Imboden gerade «Action» ruft? Oder laufen noch die Proben? Wie läuft ein Film-Dreh überhaupt ab? Fragen über Fragen, denen wir auf den Grund gehen wollen. Als die Einladung zum Setbesuch bei «Am Hang», dem neuen Film von «Der Verdingbub»-Regisseur Markus Imboden, ins Mailfach flatterte, sagten wir nicht Nein und nutzen die Chance, quasi Bäckstage zu gehen und Film-Luft zu schnuppern.

 

Dreharbeiten ist ein Synonym für Warten

 

Dreharbeiten ist ein Synonym für Warten. Während wir in der Halle des Gymnasiums sitzen und ein wenig Networking mit den Kolleginnen und Kollegen betreiben, müssen junge Statisten – sie stellen Schüler dar - immer und immer wieder durch eine Tür ins Freie gehen. Einige Minuten beobachten wir das Geschehen, schauen zu, wie sie nach jedem Take kichernd auf ihren Platz zurückkehren, sich wieder konzentrieren und auf Befehl erneut durch die Tür ins Freie treten. So lange bis genug Material im Kasten ist. Die Statisten scheinen Spass daran zu haben. 

 

Bild 1: Max Simonischeck konzentriert bei der Arbeit. / Bild 2: Ob Markus Imboden gerade die nächste Szene durchdenkt? (Mit Maus über Bild fahren) 

 

Spannende Einblicke in eine Filmproduktion gewähren uns Brigitte Hofer und Cornelia Seitler. Sie sind die Inhaberinnen der Firma Maximage – und somit die Produzentinnen vom «Am Hang». Seit sieben Jahren beschäftigen sie sich schon mit dieser Produktion. Angefangen hat alles – ziemlich unspektakulär – mit dem Lesen des Romans. Die engagierten Frauen waren sofort Feuer und Flamme und sicherten sich die Filmrechte noch bevor das Buch zum Bestseller wurde. Heute ist der 26. Drehtag. Bis der Film im Kasten ist sind 29 Drehtage einkalkuliert. «Einen Film darf man nicht einfach als Adaption des Buches anschauen. Wir versuchen, die Essenz des Buches heraus zu kristallisieren, diese zu bebildern und eine Dramaturgie aufzubauen», erklärt Seitler. 

 

Die zwei Frauen sind aber normalerweise während des Dreh nicht anwesend: «Wir werden immer dann gefragt, wenn es um finanzielle Aspekte geht», sagt Hofer. Überhaupt sei die Finanzierung immer schwierig – auch nach vielen Jahren im Geschäft. «Man muss jedes Mal wieder hinten anstehen. Das Risiko, ob mit der Finanzierung alles klappt, liegt immer bei der Produktionsfirma», so Hofer. Die Finanzierung für «Am Hang» sei aktuell noch nicht abgeschlossen. Dafür läge man aber gut im Zeitplan. «Das Gymnasium Freudenberg haben wir als Drehort gewählt, weil die Architektur zur Ästhetik des Films passt», erzählt Seitler. 

 

Bild 1: Martina Gedeck und Henry Hübchen brauchten nur drei Takes für die Szene. / Bild 2: Wie oft die Beiden für diese Szene brauchten, ist nicht bekannt.

 

Dann dürfen wir zum Set. «Seid aber bitte möglichst still. Die Mikrofone sind hochempfindlich», appelliert jemand vom Filmteam. Selbstverständlich halten wir uns daran, wir wollen ja nicht, dass vor versammelter Filmcrew wegen eines Handyklingens von Bäckstage die Szene wiederholt werden muss. Das Set wirkt übersichtlich. Ein Aufnahmewagen steht bereit, die Kamera ist auf einer beweglichen Halterung, dem Rig, montiert und die Toncrew hält ein Mikrofon an einer langen, stativähnlichen Vorrichtung in Position. Dann fällt die erste Klappe. In dieser Szene gehen Martina Gedeck und Henry Hübchen eine Treppe herunter. Einmal. Zweimal. Dreimal. Cut und Drehschluss – aus der Zauber. «Das ist jetzt schon etwas schnell gegangen», erklärt uns die zuvor appellierende junge Frau und meint damit, dass das Drehen einer Szene durchaus mehr Zeit beanspruchen kann. Dass mit drei Takes eine Szene im Kasten ist, spricht für die professionelle Arbeit des Teams. 

 

 

Markus Imboden weiss, dass Dreharbeiten eine Teamarbeit sind

 

Regisseur Markus Imboden gilt als sehr gewissenhafter Regisseur, der seinen Schauspielern viel Freiheit lässt und offen für Anregungen ist. So schwärmt Hauptdarstellerin Martina Gedeck: «Man versteht, was er meint, wenn er eine Regieanweisung gibt.» Ausserdem sei er jemand, der gerne über sich selbst lache und nie angespannt sei. «Er respektiert die Arbeit der anderen und weiss, dass es eine Teamarbeit ist», betont Gedeck. Vielleicht ein typisches Attribut für Dreharbeiten in der Schweiz? Die familiäre Stimmung lobt dann auch Max Simonischeck: «Das Team hier ist wie eine Familie. In der Schweiz gibt es gefühlte drei Kameraassistenten und zwei Oberbeleuchter, das macht das Arbeiten sehr angenehm.» Was laut Simonischek einen Vorteil im Gegensatz zu Dreharbeiten in Deutschland darstellt: «Du bist schnell vertraut mit den Leuten. In Deutschland fängst du immer wieder bei Null an. Du kommst ans Set, kennst keinen und musst direkt spielen.» 

 

Bild 1: Klare Regieanweisungen von Markus Imboden. / Bild 2: Gruppenbild mit Martina Gedeck, Markus Imboden, Henry Hübchen und Max Simonischeck (v.l.n.r.). 

 

Markus Imboden probt vor jeder Aufnahme intensiv und in intimen Rahmen mit den Schauspielern. Imboden erklärt: «Ich lege grossen Wert darauf, das Optimale aus einem Film herauszuholen. Proben sind dabei ein wichtiges Arbeitsmittel.» Dabei brauche es keine 30 Leute, die zuschauen, denn «auch ein Schauspieler möchte mal Fehler machen dürfen und nicht schon bewertet werden.» Am Stoff zu «Am Hang» hat den renommierten Regisseur die Erzählstruktur gereizt: «Hier wird eine Geschichte aus zwei Perspektiven erzählt. In Rückblenden sehen wir eine dritte Perspektive und es entsteht so etwas wie eine zweite und dritte Wahrheit.» Wichtig war ihm zudem, nicht einen «Verdingbub 2 oder 3» zu drehen. 

 

Wie der Film am Ende ausschaut, wissen im Moment auch die Schauspieler noch nicht. Spätestens bei der Premiere im Herbst erfahren wir des Rätsels Lösung und sind gespannt, ob es die von uns beobachtete Szene auch tatsächlich in den Film schafft. Bäckstage wird sich den Film sicher ansehen und berichten.

 

Alle Bilder von Filmcoopi.ch / © Aliocha Merker

Patrick Holenstein / Di, 22. Mai 2012